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Interview des Bürgermeisters zu finanziellen Mitteln und das Verhältnis zu Land und Bund

Bürgermeister Steffen Ball vor dem Schloss-Rathaus.
Bürgermeister Steffen Ball vor dem Schloss-Rathaus.

Die Schlagzeilen gleichen sich: Bund, Ländern und Kommunen geht das Geld aus, Invesitionen werden verschoben oder ganz gestrichen, während die Liste der Aufgaben wächst. Als letztes Mittel scheint oft nur der Dreh an der Steuerschraube zu bleiben, denn auch Finanzierungen auf Pump sind in Zeiten der Schuldenbremse nur noch sehr eingeschräkt möglich. Im Interview spricht Heusenstamms Bürgermeister Steffen Ball (CDU) über die Probleme der Kommunen, rechnet vor, wie viel Spielraum noch bleibt - und erklärt, warum Bund und Länder mehr Lasten tragen müssen.

Herr Ball, auch die Stadt Heusenstamm muss sparen, die Kita-Gebühren steigen, es gibt eine 25-prozentige Haushaltssperre. Wie groß ist Ihr Spielraum aktuell noch?

Steffen Ball: 88 Prozent unseres Haushaltes sind Pflichtaufgaben. Dazu gehören Steuern und Umlagen für den Landkreis, für die Schulen, für den Regionalverband, die Gewerbesteuerumlage und viele weitere Abgaben. Dazu kommen Personalkosten in der Verwaltung, die Kindertagesstätten, die wir selbst betreiben oder wo wir die Träger unterstützen. Es bleiben 12 Prozent sogenannte freiwillige Leistungen, dazu gehören etwa die Instandhaltung der Sportstätten, die Schulkinderbetreuung oder die Unterstützung von Vereinen.

Wie freiwillig sind diese Leistungen?

Steffen Ball: Zwei Beispiele: In einer Kommune mit mehreren Grundschulen kann man es sich eigentlich nicht leisten, kein Schwimmbad zu haben. Wo sollen die Kinder schwimmen lernen? Die Kurse sind jetzt schon ständig ausgebucht. Auch bei den Sportstätten kann man nicht hergehen und sagen, wir schließen sie wegen des Haushaltsdefizits - das würde bedeuten: kein Vereinssport mehr. Das ist völlig unrealistisch für die öffentliche Daseinsvorsorge, zumal, selbst wenn die Vereine die Finanzierung stemmen könnten, würden es am Ende über die Mitgliederbeiträge wieder fast alle bezahlen. Es wäre also nur eine Umverteilung.

Wie sieht es mit Direktzahlungen für Vereine aus?

Steffen Ball: Das ist vernachlässigbar, da geht es um ein paar Hundert bis wenige Tausend Euro für Zuschüsse oder Projekte.

Also liegt das Problem woanders?

Steffen Ball: Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass wir irgendwie defätistisch oder verzweifelt wären. Wir sind als Kommune handlungsfähig, das haben wir in den vergangenen Jahren bewiesen. Aber das ist ein sehr fragiles Gebilde. Zum einen leben wir in einer Zeit der multiplen Krisen. Des Weiteren fehlt uns an allen Ecken und Enden Personal, weil wir einerseits nicht genügend Geld dafür haben, andererseits aber nicht mehr genug Leute finden. Und drittens: Wir ersaufen in Bürokratie. Dabei merken wir, dass das Maß öffentlicher Leistungsversprechen nicht mehr mit dem zusammenpasst, was die Kommune stemmen möchte.

In diesem Kontext wird vom Konnexitätsprinzip gesprochen. Wer bestellt, zahlt. Passt das noch?

Steffen Ball: Nein, es ist völlig ausgehebelt und damit übrigens auch der Verfassungsgrundsatz der kommunalen Selbstverwaltung. Ich will keine Staatskritik üben, aber die Kommunen sind letztlich der Ort der Wahrheit. Hier gibt es den direkten Dialog, hier wird gemacht, was woanders beschlossen wird. Vom Bund werden immer mehr Pflichtaufgaben definiert, die dann vom Land umgesetzt werden, etwa die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung im Grundschulalter, das Ganztagsförderungsgesetz oder die erhöhten Anforderungen in Kitas. Das ist alles okay, wir setzen das hier vor Ort alles um, aber dann muss jemand das Geld dafür geben und aufhören, ständig staatliche Leistungen an Fördermittel zu knüpfen.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Steffen Ball: Wenn der Bund festlegt, es gibt das Ganztagsförderungsgesetz, dann muss er nachfragen, was das kostet - an baulichen Maßnahmen, an Personal, an Organisation. Das können wir ausrechnen. Die Zahl wird gemeldet, wir bekommen das Geld und setzen es um. So einfach ist das. Doch stattdessen sagt der Bund, dass für die finanzielle Ausgestaltung die Länder zuständig sind. Die sagen, dass sie das zwar im Bundesrat mit beschlossen haben, aber selbst Bundesmittel bräuchten, um diese weiterreichen zu können - ein Teufelskreis.

Ihr Vorschlag?

Steffen Ball: Weg mit Förderungen für Pflichtausgaben und mehr Geld für zentrale Transformationsaufgaben in den Bereichen Digitalisierung, Öffentlicher Personennahverkehr, Kinderbetreuung und Klimaschutz. Dafür muss der Steueranteil der Kommunen an der Umsatzsteuer erhöht werden. Nur so können wir wieder investieren - und damit auch die Wirtschaft vor Ort ankurbeln.

Angenommen, es gibt nicht mehr Geld. Welche Optionen bleiben?

Steffen Ball: Nachdem alle Fachdienste ihre Mittel für 2025 angemeldet hatten und die ersten Schätzungen für Steuereinnahmen und Abgaben kamen, hatten wir ein Defizit von weit über 10 Millionen Euro. Also verschieben wir Projekte, denken darüber nach, Stellen nicht nachzubesetzen, priorisieren Aufgaben und verschiedene Ressourcen, überprüfen freiwillige Leistungen. Die zentrale Frage bei der Haushaltskonsolidierung ist: Tun wir die richtigen Dinge, und tun wir sie richtig? Es geht um eine effiziente Verwaltung. Dafür müssen wir Prozesse vereinfachen, damit wir sie digitalisieren können, wir müssen unsere Mitarbeiter mitnehmen, wir müssen unsere Marke als Arbeitgeber stärken und gezielt Personal suchen.

Um unter dem Strich Personal einzusparen?

Steffen Ball: Es geht nicht darum, Personal einzusparen, um Kosten zu senken, sondern wir werden in Zukunft überhaupt nicht mehr so viel Personal bekommen. Es geht darum, die Balance zwischen einer leistungsfähgigen Verwaltung mit Pflichtaufgaben und dem gewachsenen Anspruch der Bürger zu finden. Wir sind Dienstleister. Auch deshalb ist jeder einzelne Job bei uns in der Verwaltung sinnvoll.

Und wenn das nicht reicht, werden Steuern erhöht?

Steffen Ball: Das machen die Leute nicht mehr mit, was ich auch nachvollziehen kann. Ich glaube nicht, dass wir ständig an der Steuerschraube drehen können, sondern wir brauchen eine andere Form der Finanzierung. Das ist auch bei der Gewerbesteuer so. Eine Stadt wie Heusenstamm, die so stark aufs Gewerbe angewiesen ist, sollte keine abschreckende Wirkung erzielen. Wir brauchen Gewerbe- und Einkommensteuerzahler - und für die müssen wir uns fit machen, sonst haben wir bald noch größere Probleme.

Dann bleiben nur noch Fördermittel. Wie wäre es mit einem Spezialisten, der Gelder akquiriert?

Steffen Ball: Ich habe im vergangenen Jahr vier Kommunen zusammengetrommelt, mit denen ich das gerne machen würde. Magistrat und Parlament müssen in diesem Jahr noch entscheiden, ob wir uns das leisten können und wollen. Denn an sich ist es hirnrissig, Leute einzustellen, die sich durch den Förderdschungel kämpfen, aber Bund und Länder werden diesen so schnell nicht lichten, denn es ist ein politisches Steuerungsinstrument. Ich halte das für falsch, weil für Fördermittel brauche ich auch immer Eigenmittel - und die muss ich erstmal in meinem Haushalt darstellen, damit ich nach der Maßnahme das Geld wieder zurückbekomme. Wenn ich aber all das, was ich gefördert haben möchte, einplane, kriege ich den Haushalt erst gar nicht von der Kommunalaufsicht genehmigt, weil die Kosten in diese Moment viel zu hoch sind. Fördermittel sind also nicht die Lösung.

Wenn all diese Maßnahmen immer noch nicht ausreichen, was bleibt dann noch außer Schwimmbad und Sportplätze zu schließen?

Steffen Ball: Das bringt ja nicht viel. Einerseits, weil die Personalkosten kurzfristig noch da sind, andererseits weil auf vielen Dingen noch Abschreibungen, Kreditverbindlichkeiten sowie Kosten für Instandhaltungspflicht laufen. Und da freiwillige Leistungen sowieso nur 12 Prozent des Haushalts ausmachen, werden sie ihn alleine auch nicht retten. Ich bleibe bei meiner Kernthese: Das System muss sich grundlegend ändern.

Was meinen Sie damit?

Steffen Ball: Das bedeutet einerseits für gewisse Aufgaben feste Zuweisungen finanzieller Mittel und andererseits in Berlin und Wiesbaden nicht ständig zusätzliche Goodies zu versprechen, die vor Ort  nicht bezahlt werden können.

Es geht also am Ende um das Verhältnis von Bürger zum Staat?

Steffen Ball: Der Staat hat in den vergangenen Jahren den Eindruck erweckt, er könne alle Sorgen und Nöte der Bürger von ihnen nehmen. Damit hat er die Menschen auch zu einem großen Teil aus ihrer Eigenverantwortung entlassen, doch das System funktioniert so nicht mehr. Wir müssen an die Sozialleistungen ran und wieder mehr daran appellieren, dass ich mich auch anstrengen muss, wenn ich ein gutes Leben führen will.

Haben Sie ein Beispiel?

Steffen Ball: Als der Ukraine-Krieg ausbrach und die Energiepreise durch die Decke gegangen sind, hat der Staat sofort Preisbremsen eingeführt - mit dem Effekt, dass die Leute möglicherweise nicht so viel gespart haben, wie sie gekonnt hätten. Auch bei der Migration sind viele Fehler gemacht worden. Anfangs saßen hier junge und teils gut ausgebildete Menschen monatelang in der Unterkunft, durften nicht arbeiten, obwohl sie es wollten und konnten, weil sie auf einen Schein gewartet haben, damit sie Deutsch lernen dürfen - anstatt es einfach im Job zu lernen. Der Staat nimmt dem Einzelnen durch bürokratische Hemmnisse so stark die Eigenverantwortung, dass ich das wirklich bedenklich finde. Das gilt auch an anderer Stelle: Wenn man Kinder in die Welt setzt, dann muss man wissen, dass nicht der Staat hauptsächlich für die Betreuung verantwortlich ist, sondern auch die Eltern. Mein Eindruck ist aber, dass eine kleine Gruppe von Menschen genau dies fordert und damit gesellschaftlich völlig falsche Impulse setzt. 

Sind größere Einheiten von Städten und Kommunen, analog zu den Gebietsreformen in 1970-ger Jahren, eine Option, um Geld zu sparen?

Steffen Ball: Wenn es um Dienstleistungen an Menschen geht, was der Großteil unseres Jobs ist, dann ist mein Eindruck, dass sich Menschen eher in einem bekannten Umfeld mit bekannten Menschen organisieren lassen als in einer großen Einheit. Es geht darum, dass ich Ansprechpartner habe, die ich vielleicht sogar kenne, dass da ein echter Mensch ist, den ich im Rathaus anrufen kann oder zu dem ich in wenigen Minuten hingelaufen bin. Das halte ich für einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Ich glaube an den Wunsch der Menschen nach Vertrautheit.

Die Kommunen schlagen aufgrund ihrer finanziellen Situation Alarm, der Präsident des Hessischen Städtetags hat kürzlich zum wiederholten Male auf aktuelle Missstände hingewiesen. Bringt das etwas?

Steffen Ball: Fakt ist: Der Trend ist überall gleich, auch wenn es bei einigen Kommunen um die Kirsche auf der Torte und bei anderen um die nackte Existenz geht. Natürlich werden Veränderungen nicht über offizielle Äußerungen oder Pressemitteilungen passieren, sondern nur über das langsame Bohren sehr dicker Bretter. Da nehme ich unsere kommunalen Spitzenverbände aber als sehr agil wahr. Ich spüre zudem, dass im Dialog mit Vertretern vom Bund oder Ländern der Ton schärfer wird, weil wir Bürgermeister häufig nicht mehr verstehen, warum Dinge in Wiesbaden oder Berlin so passieren. Es muss uns als kommunale Familie - und damit meine ich Städte, Gemeinden und Landkreise Hand in Hand - gelingen, klarzumachen, dass es so nicht mehr weitergehen kann und dass man uns endlich zuhören muss. Ich habe den Eindruck und die Hoffnung, dass das bei der neuen Landesregierung der Fall ist. Diese Signale müssen wir jetzt nutzen, denn bei den Kommunen brennt die Hütte.

Wie ist Ihr Eindruck mit Blick auf den Bund? 

Steffen Ball: Mit unseren Abgeordneten vor Ort haben wir Glück, weil sie auch ständig hier unterwegs sind. Aber sie sind nicht an der Regierung beteiligt. Mein Eindruck von der Spitzenpolitik und von unserer Bundesregierung ist, dass man dort überhaupt kein Verständnis für die Situation der Kommunen hat.

Was wünschen Sie sich?

Steffen Ball: Ich wünsche mir vor allem, das es auch vonseiten des Bundes eine Priorisierung der Aufgaben gibt - und die sollte eher im Bereich Investitionen als bei der Aufblähung des Sozialstaates liegen.

Was bedeutet das für die Perspektive von Kommunen und Bürgermeistern?

Steffen Ball: Das Gute ist, dass alles in Wellenbewegungen verläuft: Wenn wir schwierigen Zeiten haben, werden auch wieder bessere kommen. Wir müssen als Kommune dennoch alles tun, was wir tun können. Gleichzeitig muss es uns gelingen, den Handlungsspielraum wieder zu vergrößern, ansonsten wird die kommunale Selbstverwaltung endgültig ausgehöhlt. Wir leben in einem extrem guten Land, das wir nicht schlechtreden sollten. Ich schaue nicht pessimistisch in die Zukunft, sondern möchte weiterhin alles dafür tun, dass die Menschen vor Ort happy sind - das treibt mich als Bürgermeister an.

Das Gespräch führten Joshua Bär und Philipp Keßler.

(Text: Joshua Bär und Philipp Keßler, Offenbach-Post, 26.10.2024, Foto: Charles Schrader/Magistrat)

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