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Verkehrsversuch Industriestraße erfolgreich: Erkenntnisse sollen in die neue Verwaltungsvorschrift zur StVO einfließen

Experte Professor Jürgen Follmann: „Heusenstammer Modell leistet wichtigen Beitrag zum Wandel der Mobilität im Stadtverkehr.“

Die Industriestraße während der Markierungsarbeiten im Jahr 2023.
Die Industriestraße während der Markierungsarbeiten im Jahr 2023.

Die Hinweise auf den Verkehrsversuch in der Industriestraße wurden mittlerweile entfernt – so ist hier eine realistische Verkehrssituation entstanden. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend: Die Nutzung der Fahrbahn durch Radfahrende ist von rund zehn Prozent vor Beginn des Versuchs auf 85 Prozent gestiegen. Vor dem Versuch nutzte der Großteil der Radfahrenden den Gehweg, was zu einer erhöhten Gefährdung von Fußgängerinnen und Fußgängern und mobilitätseingeschränkten Personen führte. Durch den Verkehrsversuch hat sich dieses Verhalten maßgeblich verbessert. Auch das Verhalten der Autofahrenden hat sich verändert: Sie bleiben im Begegnungsfall meist hinter den Radfahrenden, anstatt sie zu überholen, was den Sicherheitsabstand deutlich verbessert hat. Die genannten positiven Entwicklungen führten zu einem Anstieg des Radverkehrs um etwa 30 Prozent. Zählungen im September 2024 belegen, dass trotz widriger Wetterbedingungen im Durchschnitt 305 Radfahrende pro Tag unterwegs waren, an verkehrsreicheren Tagen bis zu 370.

In der letzten Sitzung im Jahr 2024 im Dezember hatten die Heusenstammer Stadtverordneten die Verlängerung des genehmigten Verkehrsversuchs in der Industriestraße sowie die wissenschaftliche Begleitung durch die Hochschule Darmstadt um zwei Jahre beschlossen. So können die bisherigen Erkenntnisse vertieft, die langfristigen Auswirkungen auf Verkehrsfluss, Verkehrssicherheit und Akzeptanz der Maßnahme erfasst sowie fundierte Daten für mögliche Anpassungen der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) gesammelt werden. Außerdem bilden die weiteren Erkenntnisse eine Grundlage für fundierte Empfehlungen zur Übertragung der Maßnahme auf andere Streckenzüge mit unterschiedlichen Verkehrsbelastungen und Verkehrszusammensetzungen.

„Unsere Stadtmobilität und die Mobilität in unserem gesamten Land ist in Bewegung. Mit der Umgestaltung der Industriestraße sind wir einen mutigen Schritt in Richtung einer zeitgerechten Verkehrsplanung gegangen, auch wenn wir uns anfangs gegen einige Widerstände behaupten mussten,“ erklärt Bürgermeister Steffen Ball. „Langjährige Erfahrungen, insbesondere aus den Niederlanden, haben uns bestärkt, die einstreifige Kernfahrbahn mit Schutzstreifen in unserer Stadt unter realen Bedingungen zu testen. Sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Akzeptanz dieser Maßnahme sind im Laufe des Jahres signifikant gestiegen. Das hat uns bestätigt, den Versuch weitere zwei Jahre mit wissenschaftlicher Begleitung fortzuführen. Und dass wir damit einen Nerv getroffen haben, belegen nicht zuletzt die zahlreichen Anfragen von anderen Kommunen quer durch die Republik“.
 

Einstreifige Kernfahrbahn und Schutzstreifen – Ein Modell für die Straßenverkehrs-Ordnung?

Die zunehmende Bedeutung des Radverkehrs erfordert eine angepasste Infrastruktur. Hierzu wurden in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) von 2021 und der Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) wichtige Korrekturen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit im Radverkehr vorgenommen. Aktuell sind weitere Anpassungen im Verfahren; auch andere Regelwerke werden fortgeschrieben, um eine zeitgerechte und sichere Fuß- und Radverkehrsinfrastruktur zu erreichen.

„Die Evaluierung des einjährigen Verkehrsversuchs in Heusenstamm zeigt vielversprechende Ergebnisse, die dafürsprechen, vergleichbare Markierungslösungen auch in weiteren deutschen Kommunen zu erproben“, bestätigt Professor Jürgen Follmann, der mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Laura Kehrer und seinem Studierenden-Team die Verkehrsänderungen in der Industriestraße von Anfang an begleitet hat. „Die bislang gewonnenen Erkenntnisse liefern eine Grundlage für weiterführende Untersuchungen zur Alltagstauglichkeit. Das Heusenstammer Modell leistet damit einen wichtigen Beitrag zu den aktuellen Herausforderungen zum Wandel der Mobilität im Stadtverkehr und den Zielen des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP).“ Und Follmann ergänzt: „Außerdem sollte beachtet werden, dass neben den klassischen Fahrradtypen zwischenzeitlich neue Fahrzeugarten wie Pedelecs, Lastenräder, E-Scooter und elektrische Rollstühle zusätzlich den Verkehrsraum der Radverkehrsinfrastruktur beziehungsweise die Fahrbahn nutzen.“

Die veränderte Aufteilung des Fahrbahnbereichs mit einer einstreifigen Kernfahrbahn als zentralem Merkmal könnte die bestehende Lücke zwischen der Führung des Radverkehrs im Mischverkehr ohne Markierung und der Nutzung von markierten Schutzstreifen schließen. Sie scheinen eine praktikable Lösung bei Fahrbahnbreiten zwischen sechs und acht Metern zu sein und können damit zusätzlich helfen, die Attraktivität des Radfahrens zu steigern.

Die bisherige Formulierung in der VwV-StVO sowie den einschlägigen technischen Regelwerken besagt, dass für die Einrichtung von Schutzstreifen eine Kernfahrbahnbreite verbleiben muss, bei der sich zwei Pkw begegnen können – diese Aussage ist eher widersprüchlich in Verbindung mit den einzuhaltenden Sicherheitsabständen zwischen Kfz- und Radverkehr. Für die Fortschreibung der StVO wurde daher durch das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum eine veränderte Formulierung angestoßen. Die vorgesehenen Streichungen im aktuellen Entwurfsstand zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung sollen es ermöglichen, die Vorgaben der technischen Regelwerke entsprechend dem Stand der verkehrswissenschaftlichen Erkenntnisse weiter zu entwickeln.

„Zusätzlich erscheint die Beschränkung der Geschwindigkeit auf 30 km/h bei einer einstreifigen Kernfahrbahn, wie es auch im niederländischen Regelwerk vorgesehen ist, für das Miteinander von Kfz und Radverkehr ideal. Diese sollte auch für Deutschland bei einstreifigen Kernfahrbahnen mit Schutzstreifen vorgesehen werden,“ ist Follmann überzeugt.

Infobox

In dem Heusenstammer Verkehrsversuch in der Industriestraße zwischen November 2023 und Oktober 2024 wurde die sechs Meter breite Fahrbahn entsprechend dem niederländischen Regelwerk mit einstreifiger Kernfahrbahn und Schutzstreifen aufgeteilt.

In Deutschland fehlen bisher Erkenntnisse zur Wirkung einstreifiger Kernfahrbahnen mit Schutzstreifen. Aufgrund eines wichtigen Netzschlusses für den Radverkehr und fehlender baulicher Optionen hat die Stadt Heusenstamm in 2022 initiiert durch die Hochschule Darmstadt die niederländischen Ansätze aufgegriffen und die Rahmenbedingungen für einen Verkehrsversuch geschaffen. „Die Stadt bewies hierbei zusätzlichen Mut, indem der Verkehrsversuch in dauerhafter Markierungsqualität realisiert wurde“, ergänzt Follmann.

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